Vertrauen in die Entfaltungsmöglichkeiten des Lebens

Regeln und Grenzen, die sich dehnen

Einige Vorschulkinder sind alleine im Garten. Ein Spiel-Flug-Objekt landet leider jenseits des Gartenzauns. Als wir Pädagoginnen bemerken, dass eines der Kinder über den Gartenzaun klettern will, um das Teil wieder zu holen, rufen wir alle Kinder sofort herein. Im folgenden spontan ausgedachten Angebot demonstriere ich den Kindern anhand von einigen schnell geknoteten Stoff-Püppchen aus Chiffon-Tüchern, einem Turn-Reifen und zwei Seilen in einem kleinen Theater den Unterschied zwischen starren (Reifen) und fließenden (Seile) Regeln.

Starre Regeln müssen sein, wenn Gefahr an Leib und Leben besteht. Eine solche Regel ist es zum Beispiel, dass alle Kinder im Telos-Gelände bleiben. Oder dass alle Menschen bei Rot an der Ampel stehen bleiben. Und so fort.

Fließende Regeln dehnen sich. Sie lassen sich anpassen an Zeit, Situation und Personen. Fließende Regeln können wachsen. Sie gestalten das menschliche Miteinander. Sie wachsen, wenn das Kind „an Alter und Weisheit“ zunimmt. Gute Gelegenheiten für Eltern, diese Regeln wachsen zu lassen sind: Weihnachten, Ostern, Sommer und die persönlichen Feste wie Geburtstag und Namenstag. UND: Das empathische Gespür der Eltern, dass ihr Kind in wenigen Tagen „weiser“ geworden sein wird. Wenn jetzt die Regel automatisch weiter wird (im elterlichen Wissen und Zutrauen, dass das Kind die damit auf es zukommenden neuen Herausforderungen meistert) muss das Kind nicht gegen eine starre Grenze ankämpfen: Trotzphasen und Machtkämpe in der sogenannten „Trotzphase“ und der Pubertät bleiben dann aus. Die Meisterschaft der Eltern und Pädagog*innen besteht also darin, sich jederzeit in die bestehenden Regeln einzufühlen in Bezug auf Ihr Kind (die Kindergruppe) und zu prüfen, ob diese Regeln (noch) stimmen. Dies ist eine große Leistung, die uns Erwachsenen selber hervorragend vor Augen führt, was für „gute Eltern“ („gute Pädagog*innen“) wir sind. Und zwar auf eine wesentlich angenehmere Weise, als wir es uns beweisen würden, wenn wir kraft unserer Autorität die Wächter von ausschließlich starren Regeln wären.

In den nächsten Tagen werden wir mit den Vorschulkindern die Bedeutung der fließenden Regeln spielerisch erarbeiten: Höflichkeit; nicht auslachen, wenn sich jemand weh tut; jemandem zuhören, der dran ist mit erzählen; helfen im Haushalt; und vieles mehr. Übrigens sind dies genau die Anforderungen für eine gelungene Einschulung.

Veronika Seiler, Telos-Ermutigungspädagogin

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